Andrei Ursu (geb. 1958)

Andrei Ursu, Sohn des Ingenieurs Gheorghe Ursu, eines Dissidenten, der 1985 von der rumänischen Securitate ermordet wurde. Gheorghe Ursu war Bauingenieur mit Fachkenntnissen auf dem Gebiet der Erdbebensicherheit, Dichter und Schriftsteller. Nach dem verheerenden Erdbeben in Bukarest vom 4. März 1977 wurde Gheorghe Ursu zum Leiter des Projekts zur Konsolidierung des 1935 gebauten Patria-Blocks ernannt, des ersten großen modernistischen Gebäudes in Bukarest, das erhebliche Schäden erlitten hatte. Als Projektleiter nahm er am 4. Juli 1977 an der von Diktator Nicolae Ceaușescu im Plenarsaal des ZK der RKP einberufenen Sitzung teil, in der alle Bauverantwortlichen angewiesen wurden, jede Art von Konsolidierung der durch das Erdbeben beschädigten Gebäude unverzüglich einzustellen, ungeachtet der Gefahr ihres Einsturzes im Falle eines weiteren Erdbebens. Nach dieser Sitzung wurde die Sicherheitspolizei auf Gheorghe Ursu aufmerksam, nachdem er erklärt hatte, dass er gegen die Anordnung verstoßen und einige Arbeiten durchführen würde, die er für zwingend erforderlich hielt, auch wenn er sie aus eigenen Mitteln bezahlen würde. Die Baustelle wurde bald geschlossen. Gheorghe Ursu schickte einen ersten Brief an Radio Free Europe, in der Hoffnung, dass seine Botschaft den Bewohnern der betroffenen Wohnblocks die Gefahren aufzeigen würde, denen sie im Falle eines schweren Erdbebens ausgesetzt seien. Auch wollte er dadurch die Behörden sensibilisieren. Seine Botschaft wurde genau zwei Jahre nach dem verheerenden Erdbeben ohne Nennung des Verfassers vorgelesen. In einem zweiten Brief, den er 1981 an denselben Sender schickte und der ebenfalls ohne Nennung des Autors verlesen wurde, kritisierte Gheorghe Ursu den Diktator, warf ihm Personenkult vor und beschrieb die ungerechte Behandlung einiger Schriftsteller durch das kommunistische Regime. In einem dritten Brief an den Sender kritisierte er die Verwendung der Mittel, die der rumänische Staat zur Beseitigung der Folgen des Erdbebens gesammelt hatte und die von Elena Ceaușescu, der Frau des Diktators, verwaltet wurden. Im Dezember 1984 entwendete ein Kollegin, die eine Informantin der Securitate war, das Tagebuch des Ingenieurs aus seinem Schreibtisch und übergab es dem Securitate-Beauftragten des Unternehmens. Im Januar 1985 wurde die Wohnung von Gheorghe Ursu durchsucht. Dabei wurden 62 Notizbücher beschlagnahmt, die im Laufe von 40 Jahren geschrieben worden waren und anhand derer er als Verfasser der im Programm von Radio Free Europe verlesenen Briefe identifiziert wurde. Er wurde von der Securitate überwacht und verhört, blieb aber zunächst auf freiem Fuß. Zu einer Zeit, als das Ceaușescu-Regime international behauptete, es gebe keine politischen Gefangenen in Rumänien, und um seine Verhaftung zu rechtfertigen, stellte die Securitate den Fall Gheorghe Ursu als ein “gewöhnliches Verbrechen” dar. Er wurde beschuldigt, illegal eine Summe in ausländischer Währung, 17 Dollar, versteckt zu haben, die bei den Durchsuchungen gefunden wurde. Am 21. September 1985 wurde er festgenommen und in eine Zelle des Milizgefängnisses gesteckt, das sich im selben Gebäude wie die Securitate befand. Dort wurde er von zwei Securitate-Ermittlern systematischen Verhören unter unmenschlichen Bedingungen mit Anwendung psychischer und physischer Gewalt unterzogen, was später von Mitgefangenen und Wärtern bestätigt wurde. Er erhielt Drohungen in Bezug auf seine Familie. Er wurde gefoltert, um zuzugeben, er hätte die Briefe in Momenten der Schwäche oder persönlicher Unzufriedenheit gegen Geld an Radio Free Europe geschickt. Gheorghe Ursu hielt der Tortur stand und blieb bei seinen schriftlichen Erklärungen, die sich in der von seinen Ermittlern zusammengestellten Akte befinden: Sein einziges Motiv sei gewesen, dass er “von seinem eigenen Gewissen gezwungen wurde”. Gheorghe Ursu hat seine kritischen Äußerungen gegen die Partei- und Staatsführung weder berichtigt noch geändert, noch hat er jemals gesagt, dass er sie bedauert. Er nannte weder die Namen derjenigen, die ihm geholfen hatten, die Briefe, die den westlichen Rundfunksender erreicht hatten, außer Landes zu bringen, noch denunzierte er seine Schriftstellerfreunde, deren Probleme er öffentlich angeprangert hatte. Im zweiten Monat seiner Verhaftung wurde er in einer Zelle mit zwei Mithäftlingen untergebracht, die angewiesen worden waren, zusätzliche Gewalt gegen ihn anzuwenden. Er weigerte sich weiterhin, mit der Securitate zusammenzuarbeiten, obwohl ihm bewusst war, dass er hätte getötet werden können. Am Morgen des 15. November, nur wenige Tage vor Ablauf der gesetzlichen Frist für die Untersuchungshaft, wurde Gheorghe Ursu zum Verhör abgeführt, von einem der Ermittler geschlagen und, da er nicht mehr auf eigenen Beinen stehen konnte, in einer Decke in seine Zelle zurückgetragen. Sein Dünndarm war perforiert. Er litt unter starken Bauchschmerzen und schrie vor Schmerzen, ohne dass er medizinisch versorgt wurde. Gheorghe Ursu verstarb am 17. November 1985. In den medizinischen Unterlagen ist von wiederholten Schlägen mit harten Körpern und Tritten die Rede. Offiziell wurden als Todesursache ein Herzinfarkt und ein Darmverschluss angegeben. 1990 forderte sein Sohn öffentlich die Bestrafung der Schuldigen, zu einer Zeit, als die rumänische Justiz die Anwendung des Gesetzes über Verbrechen gegen die Menschlichkeit im Falle von Folter und politischer Unterdrückung nicht akzeptierte – Fälle, die nicht von Verjährung betroffen waren. Die 1985 von der Securitate gegen den Ingenieur Ursu angelegte Strafakte wegen “Propaganda gegen die sozialistische Ordnung” gelangte erst 2006 zum Nationalen Rat für das Studium der Securitate-Archive (CNSAS), und Andrei Ursu konnte sie erst 2014 zum ersten Mal einsehen, nachdem er zweimal in den Hungerstreik getreten war. Die Securitate-Akte zu Ursus geheimdienstlicher Beschattung wurde erst im Jahr 2000 durch einen Beschluss des Obersten Rats für Nationale Verteidigung (CSAT) freigegeben und anschließend der Militärstaatsanwaltschaft übergeben. Die von der Staatsanwaltschaft übermittelte Akte erreichte den CNSAS erst 2015, als sich herausstellte, dass sie zu 90 % gefälscht war. Bei sechs der sieben Bände waren die Originaldokumente entfernt und durch Fotokopien von Aussagen, die nicht mit den Ermittlungen der Securitate in Verbindung standen, sowie durch Berichte und Pressemitteilungen aus den Jahren 1990-1993 ersetzt worden, obwohl der Fall offiziell 1987 abgeschlossen worden war. Daraufhin forderte Andrei Ursu den rumänischen Geheimdienst auf, eine interne Untersuchung durchzuführen. Im Jahr 2024 ist ihm immer noch nicht mitgeteilt worden, ob diese Untersuchung stattgefunden hat. Der Fall der Folterung und Ermordung von Gheorghe Ursu durch die Securitate vor mehr als drei Jahrzehnten verzeichnete 2016 die erste strafrechtliche Verfolgung von Securitate-Beamten in Rumänien wegen Verbrechen gegen die Menschlichkeit. Die Fallakte enthält Dutzende von Zeugenaussagen und Dokumenten, die belegen, dass das Opfer während der Ermittlungen in der Haft systematisch gefoltert wurde, bis es starb. Im Oktober 2019 beschloss das Berufungsgericht Bukarest (CAB), die rechtliche Einstufung der Taten der beiden ehemaligen Securitate-Offiziere von Verbrechen gegen die Menschlichkeit auf unmenschliche Behandlung zu ändern, und sprach sie für dieses Vergehen frei, auch mit der Begründung, dass Gheorghe Ursu “kein Gegner des kommunistischen Regimes war und keine gegnerischen Beziehungen zu den staatlichen Organen unterhielt, solange seine Meinungen und seine Ablehnung der staatlichen Politik und Führung nicht die breite Öffentlichkeit erreichten /. …/ und keine Konsequenzen in der äußeren Realität hervorgerufen haben”. Im Juli 2023 wurden die beiden ehemaligen Offiziere vom Obersten Kassations- und Justizgerichtshof ( ÎCCJ) im Todesfall Gheorghe Ursu endgültig freigesprochen, wobei das Gericht seine Entscheidung ähnlich wie das CAB begründete. Im Februar 2024 prüfte der ÎCCJ einen Antrag der Familie und der Staatsanwaltschaft auf Wiederaufnahme des Ursu-Prozesses, doch im Mai 2024 wies ein Richter die Anträge der Generalstaatsanwaltschaft und der Erben von Gheorghe Ursu auf Überprüfung des Urteils, mit dem die ehemaligen Securitate-Offiziere freigesprochen wurden, als unzulässig zurück. Diese Entscheidung ist noch nicht endgültig.

Andrei Ursu ist Gründungsmitglied und Mitglied des Verwaltungsrats der Gheorghe-Ursu-Stiftung. Im Jahr 2021 ging die Organisation eine Partnerschaft mit dem Institut für die Untersuchung der Verbrechen des Kommunismus und der Erinnerung an das Rumänische Exil (IICCMER) ein, die darauf abzielt, “im Bereich der Wiederherstellung der Erinnerung an die Unterdrückung während der Revolution vom Dezember 1989” zusammenzuarbeiten, wobei sie feststellte, dass “IICCMER in den 16 Jahren seines Bestehens keine nennenswerten Anstrengungen zur Untersuchung der Verbrechen während der Revolution unternommen hat“. Andrei Ursu ist Co-Autor des 2019 erschienenen Buchs “Trăgători și mistificatori/Schützen und Verfälscher”. Darin werden die Methoden aufgedeckt, mit denen die Verantwortlichen für den Tod der rumänischen Revolutionäre von 1989 geschützt wurden, und andererseits das Heldentum der Menschen gewürdigt, die 1989 zum Sturz des kommunistischen Regimes geführt haben. Im Jahr 2021wurde Andrei Ursu zum wissenschaftlichen Direktor des Instituts für die Rumänische Revolution vom Dezember 1989 (IRRD) ernannt. Er setzte innerhalb der Institution die Priorität auf die “Untersuchung der Umstände und die Identifizierung der Verantwortlichen für die Gewalttaten und Todesfälle im Dezember 1989” und appellierte an die Politiker und die Öffentlichkeit, dass “die Revolutionsakte von einer ehrlichen und professionellen Strafverfolgungsbehörde übernommen und wieder aufgearbeitet wird”. Weniger als ein Jahr später veröffentlichte das Forscherteam unter der Leitung von Andrei Ursu den Band “Căderea unui dictator. Război hibrid și dezinformare în Dosarul Revoluției din 1989/Der Sturz eines Diktators. Hybrider Krieg und Desinformation im Dossier der Revolution von 1989” (Polirom, 2022). Auf der Grundlage von umfangreichem Beweismaterial bestätigten die Studien im Buch erneut die Existenz der sogenannten “Terroristen” vom Dezember 1989 und ihre Zugehörigkeit zum Netzwerk der “Widerstandskämpfer” der Securitate, die auf einen städtischen Guerillakrieg vorbereitet waren, um Chaos und Terror zu stiften und Nicolae Ceaușescu wieder an die Macht zu bringen. Obwohl das Buch von einem wissenschaftlichen Beirat aus international anerkannten Professoren, Forschern und Historikern befürwortet wurde, löste es bei einem Teil der Leitung des IRRD, angeführt vom Generalsekretär und dem Präsidenten des Instituts, einer wegen Korruption verurteilten Person, heftigen Widerspruch aus. Nach der Veröffentlichung des Buchs wurde Andrei Ursu entlassen. Im Jahr 2023 hob das Bukarester Gericht die Entscheidung über seine Entlassung auf, da als rechtswidrig angesehen wurde. 

Im Jahr 2022 verlieh der Stadtrat Bukarest Gheorghe Ursu den Titel der Exzellenz (post mortem) als Zeichen der Dankbarkeit für “die Aktionen, Anstrengungen und Opfer, die er unternommen hat, um die Bevölkerung vor der seismischen Verwundbarkeit zu warnen, in der Ceaușescu die Stadt nach dem Erdbeben von 1977 zurückgelassen hat”. Im Juli 2024 teilte der Bürgermeister von Bukarest in Bezug auf den Patria-Block mit, dass das “technische Gutachten abgeschlossen ist” und dass “die vorgeschlagenen Maßnahmen zur Konsolidierung des Gebäudes verschiedene Operationen umfassen, wie z. B. die Verstärkung der vorhandenen Tragbalken und das Einsetzen neuer Tragbalken in den oberen Stockwerken, die Verstärkung der Kellerwände und die Errichtung neuer Stahlbetonfundamente”.

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